Wiednerstand – Demokratie, Diskurs und Kultur… unter dieser Überschrift haben wir (Fabian Burstein und ich) das Experiment gewagt, Formate wie Konzert, Vortrag, Symposium und Matinee zu einem schlüssigen Ganzen mit Bezug zu Stadt- und Raumentwicklung zusammenzufügen. Und zwar nicht in einem sterilen Kongresszentrum sondern am »Dorfplatz der Stadt«, dem so genannten Grätzl – an Orten des 4. Bezirks, die vor besonderen Herausforderungen stehen. Unumgänglich dafür war der Rückhalt der Bezirksvertretung, insbesondere der Bezirksvorsteherin Lea Halbwidl.
Der erste Tag stand ganz im Zeichen einer kulturellen Transformation, die direkt mit der Absiedlung des ORF RadioKulturhaus zusammenhängt. Soziales und kulturelles Kapital wandert hier ab und hinterlässt einen Stadtteil, der sich neu erfinden muss. Bewusst haben wir diesen ehemaligen »Dritten Ort« gedanklich miteinbezogen – der Umstand, dass das ORF-Schild wenige Tage vor der Veranstaltung abmontiert wurde, stand sinnbildlich für die Themen und Stimmungen, die wir mit Wiednerstand aufgegriffen haben. Umso mehr war das zurückgebliebene Radiokulturhaus Café – ehemals pulsierender Mittagstisch und Post-Aufnahme Treffpunkt für JournalistInnen, Kulturschaffende und spannende Persönlichkeiten – am Eröffnungsabend ein Ort der neuen Hoffnung und der atmosphärischen Offenbarung.
Isolde Charim hielt eine eindrückliche Rede über die Demokratie, in der sie auch die Abwesenheit von positiven und zukunftsorientierten Visionen beklagte. Der Grundtenor: Es reicht nicht, sich an der Erhaltung der Demokratie als Selbstzweck abzuarbeiten – vielmehr braucht es politische Gestaltungsstrategien, in denen sich der Sinn und Zweck der Demokratie generisch entfaltet.
Oehl (Ari Oehl und Niklas Apfel) im Duo spielten danach ein zärtliches Akustik-Set mit vielen politischen Zwischentönen. In seiner Durchmischung wurde das Publikum zum lebendigen Integrationsfaktor für ein Radiokulturhaus Café „neu“: Neugierige aus dem Bezirk, Stammpublikum und eingefleischte Oehl-Fans ergaben eine ganz spezielle Mischung.
Ähnlich verhielt es sich mit dem anschließenden Beisl-Konzert von Der Nino aus Wien im U1 Cafe. Wo die MitarbeiterInnen von Ö1, Radio Wien / Wien heute und radio FM4 einst über den besten Käsetoast der Stadt schwärmten, sorgte Nino mit seiner Grätzlpoesie für einen, in der Geschichte der Kneipe wahrscheinlich einzigartigen, Ansturm. Trotz des großen Andrangs und der Trauben vor dem Lokal herrschte eine friedliche Stimmung, die gänzlich ohne Polizeieinsatz oder Anrainerbeschwerden funktionierte.
Auch der zweite Tag orientierte sich an den Veränderungen rund um das Radiokulturhaus und wagte sich bewusst in einen Art „Baustellenbereich“ im Umfeld des zukünftigen Radwegs auf der Argentinierstraße. Im Anton-Benya-Park wurden Kinder von der Autorin und Schreibpädagogin Brigitta Höpler an Erzählformen herangeführt, die direkt mit ihrer Lebensrealität zu tun haben. Die FLINTA* Swingband Major Shrimp richtete sich im Schatten einiger Bäume ein und spielte ein Konzert, das wie eine entgrenzte Public Intervention funktionierte. Der abendliche „Staatsvertrag-Talk“ mit Kurator Thomas Andreas Beck, Archivar Dieter Lautner und der ehemaligen OGH-Präsidentin und Politikerin Irmgard Griss erwies sich als aufklärerisches Infotainment-Format, in dem Griss mit einer Festlegung aufhorchen ließ: Es reicht nicht, in Staatsvertrags-Nostalgie zu verharren. Wir brauchen einen neuen „Gesellschaftsvertrag“ in dem wir ausverhandeln, wie wir mit den großen Zukunftsthemen wie KI, Arbeit, Migration, Klimawandel, etc. umgehen wollen.
Der Park als öffentlicher Ort präsentierte sich an diesem extremen Hitzetag als Location mit unkontrollierbarem Publikumsstrom – gezielte Besuche vermischten sich mit zufälligen ParknutzerInnen aller Generationen. Die Conclusio: Politische Debatten neben fußballspielenden Kindern sind möglich.
Eine Matinee im Ehrbar Saal mit den Autorinnen Natascha Strobl und Amani Abu Zahra sowie der Journalistin Petra Stuiber markierte den Schlusspunkt einer intensiven Dreitages-Konzeption. Im Rahmen einer offenen und konstruktiven Debatte drehte sich alles um die Themen Solidarität und Wut, inklusive einer überraschenden Erkenntnis: vielleicht sind es Tugenden wie Humor und Leichtfüßigkeit, mit denen wir rechtspopulistischen Tendenzen auch begegnen müssen.
https://skug.at/wiednerstand-in-den-doerfern-der-stadt
Fotografie Capture the Show