Weltflüchtlingstag

Weltflüchtlingstag, heute.

Hab mich gerade in meiner Überheblichkeit ertappt, kurz nach dem Munterwerden – Kaffee, Vogelgezwitscher und Traumwetter genießend: „Ah, es ist Weltflüchtlingstag, schnell eine mahnende Botschaft dazu absenden und weiter geht’s.“

Was an diesem großen Thema berührt mich wirklich? Was daran habe ich verstanden? Was daran hat überhaupt etwas mit mir zu tun?

Mir fällt augenblicklich kein wirklich relevanter Lebensbereich ein, in welchem ich persönlich und direkt von Flüchtlingen belastet oder gar betroffen wäre. Flüchtlinge sehe ich seit langem nicht mehr, nicht mal im Fernsehen. Ja – ab und zu fahre ich in meinem klimatisierten Auto an diesen jungen Burschen im wiener Stuwerviertel vorbei, dann sehe ich soetwas wie „Flüchtlinge“ – ab und zu, wenn so ein Fahrradbote mit Riesenkiste am Rücken mir ein Schnitzel liefert, dann denk ich mir „das ist wohl so ein Flüchtling“…

Wenn ich, selten aber doch, absichtlich an die Orte meiner Jugend zurück gehe, wieder mal Tichyeis leckend vom Reumannplatz zum Südbahnhof (ich werde ihn immer so nennen!) die Fußgängerzone hinunter schlendere, sehe ich Menschen aller möglicher Herkünfte, lausche ihren Sprachen und verstehe kein Wort. Das sind die „Ausländer“, die „Fremden“ denk ich mir. Nein, es sind keine „Flüchtlinge“ für mich, sie flüchten ja nicht, sie sind da. Einfach da. Ja – es fühlt sich sehr ambivalent an in mir. Ich fühle mich fremd, erinnere mich unweigerlich an meine Jugendzeit hier, als wir noch von echten Wienern verprügelt wurden. Diese Spaziergänge mache ich ab und zu, ebenso wie ich im Sommer 2015 während dieser großen Menschenbewegung täglich am Südbahnhof war: nicht immer um direkt zu helfen, sondern meist um mich selbst, meine Gefühle diesem Fremden Erleben auszusetzen. Mich dem was da ist zu stellen, meine Ablehnung dem Fremden gegenüber selbst zu spüren und zu verarbeiten. Ist mir mal gut mal schlecht gelungen.

Am Weltflüchtlingstag beschäftigt mich Nationalismus. Gesunder Nationalismus hat zwei Gesichter, zwei Blickrichtungen: er schaut zurück und will das als wertvoll erlebte bewahren – und er blickt nach vorne in die Zukunft, lässt ausreichend mutig sein und an eine Heilung, an eine Vision glauben. Nationalismus ist eine wichtige Fähigkeit von Staaten – mit Mass und Ziel gesund.

Verliert Nationalismus den positiven Blick in die Zukunft – noch schlimmer: Wird die kommende Zukunft als nicht leiwand eingeschätzt – überwiegt die panisch bewahrende Kraft, die Verhinderung von Veränderung. Weil diese zukünftigen Unsicherheiten uns psychisch bedrohen. Was noch dazu kommt: je existenziell ärmer und weniger gebildet (also die Fähigkeit, sich selbst Antworten und Lösungen zu kreieren) desto mehr Angst und umso mehr Vergangenheitsbewahrung. Kranker Nationalismus degeneriert zu Fremdenfeindlichkeit.

Zuwanderung, vor allem die „unkontrollierte“, macht vielen Menschen Angst. „Das Fremde, Unbekannte“ ebenso.

Wenn jetzt die brennende Vision fehlt, der nationalistische, positive Zukunftsblick (damit meine ich nicht den, nach dem selben System – jedoch unmenschlich kranken – funktionierenden Großdeutschen Reich Wahnsinn!!!) dann gewinnt der Blick nach hinten. Dann tanzen wir nur noch in Lederhosen und kartierte Tischtüchter gehüllt auf Bierbänken und grölen Hallohalli Hallihallo. Dann sind wir plötzlich nur noch stolz auf unsere Großeltern, die was mit eigenen Händen dieses Land Ziegel für Ziegel wieder aufgebaut haben.

Wenn Europa – uns Europäern – diese leuchtende, brennende, ermutigende, heilende Vision fehlt, dann fürchten wir so gut wie alles, das auf uns zu strömt. Dann ist der gefährlich bewahrende Nationalismus der Feind der Moderne. Dann schaufeln wir uns Tag für Tag unser eigenes Grab. Dann gibt es keine „Friedensregion Europa“… Dann brauchen wir Feindbilder von Außen, denn innerhalb dürfen wir uns ja danke EU und NATO nimmer gegenseitig umbringen.

Populisten nutzen genau diese, unsere urmenschliche Schwachstelle – die Angst vor einer schlechteren Zukunft.

Und jetzt wieder zum Weltflüchtlingstag:

1) Eine Welt mit Kriegen und Klimakatastrophen schafft Fluchtgründe. Jedes gesunde Säugetier flüchtet, wenn’s eng wird. So erst recht der Mensch. Wir alle müssen Tag für Tag aufhören, ein krankmachendes, unfaires, tödliches Wirtschaftssystem zu leben. Klingt kompliziert – ist einfach: einfach aufhören deppad zu sein (deppad ist der, der was deppades macht – frei nach Forest Gump) – so wählen, dass es passt, so konsumieren, dass es passt, so herumreisen, dass es passt, so bauen, das es passt.

2) Europa – das sind WIR (!!!) – müssen, ja müssen, den Blick nach vorne bekommen, gemeinsam, über alle Sprachen hinweg. Europa ist durch die Europäische Gemeinschaft ein unfassbar großes, sinnvolles, rettendes Friedensprojekt – unmittelbar entstanden auf den Millionen Leichen der beiden Weltkriege, als geniale Lösung des „Zwanges miteinander Wirtschaften, leben und regieren zu müssen“ – anstatt sich alle paar Jahre gegenseitig umzubringen!

3) Bildung. Lernen sie Geschichte!

4) Spiritualität und Liebe lernen! Herzen dehnen. Das Fremde kennen lernen. Nationalismus ist immer auch religiös, im besten Fall spirituell. Jeden Missbrauch von nationalistischen Ritualen (blaue, türkise Propaganda) abdrehen! Erkennen können, dass wir manipuliert und verführt, verblendet werden.

5) Klar geregelte Zuwanderung

6) Jeder Mensch – also auch der auf der Flucht – MUSS AUSNAHMSLOS ENTSPRECHEND DER MENSCHENRECHTE BEHANDELT WERDEN. Daraus ergeben sich so gut wie alle Antworten, was wir am Weltflüchtlingstag zu tun haben: MENSCH SEIN.

Alles brennt. Die Menschen fliehen.

#weltflüchtlingstag