Wie geht es den so genannten »Alphatieren«, wenn sie via ORF ausgerichtet bekommen, dumm zu sein, wenn sie vom Finanzminister gemaßregelt und als gierige, allgemeingefährliche Verharmloser denunziert werden? Was macht es mit dem willensstarken Sportler, wenn ihm verboten wird, allein im Wald zu trainieren? Unter welchen Rahmenbedingungen lasse ich mich führen, folge ich Anweisungen und gefährde zugleich mein Vermögen, sperre ich mein Unternehmen zu, sage ich Festivals und Lesungen ab, zerstöre ich meine Erfolgsformel? Um dem größeren Ziel zu dienen: Menschenleben zu retten. Wohlgemerkt: das Leben von Österreichern und Österreicherinnen („und von allen, die in diesem Land leben“). Darum geht es jetzt. Nicht um das Leben von Klima- und Kriegsopfern, Selbstmördern, Passivrauchern, Flüchtlingen oder an Hunger Sterbenden.
Es gibt keine Alternative. Koste es, was es wolle
Was für ein Satz. Was für eine beherrschende Behauptung. Wenn ich in meinen 52 Lebensjahren etwas gelernt habe, dann ist es das Gegenteil davon. Es gibt immer eine Alternative. So lange ich lebe. Freiheit entsteht aus Alternativen. Wer keine Wahl hat, ist nicht frei. Wer »Koste es, was es wolle« zum Schlachtruf erhebt, hat längst kapituliert, hat tatsächlich keine weltliche Alternative mehr vor Augen. Es gibt nur noch das Totale. Rette sich, wer kann. Wir werden alle sterben: entweder an Corona oder wirtschaftlich. Oder an beidem. »Es« – das Göttliche – will »es« so. Woraus bezieht der Kanzler die Ermächtigung, keine Alternative zu erlauben, nicht einmal den Dialog zu dulden darüber, ob auch andere Wege, andere Strategien zum lebensrettenden Ziel führen können? Während der kapitalistische Beraterstab »Think Austria« tagt und der Chef der Wiener Börse längst in Konsultationsrunden mit Kanzler und Finanzminister die Ordnung danach ausverhandelt? Herrscht dort auch die ohnmächtige Alternativlosigkeit? Oder werden dort die Weichen gestellt für die gewaltigen, Börse-freundlichen Maßnahmen – wie es Christoph Boschan dem staunenden Armin Wolf in der ZIB erklärte?
Wer die Wahrheit kennt
Der Weise gibt zu, dass er nichts weiß, der Weise stellt sich demütig den Kritikern, wissentlich, dass von jeder Wahrheit immer auch das Gegenteil wahr ist. Der autoritäre Herrscher vergeudet keine Zeit mit Ansichten und Fragen des Fußvolkes. Er kommuniziert in die Ängste hinein, schürt diese am Beginn jeder seiner Ansprachen, zeichnet das Schlimmste Bild des »einsamen Sterbens« an die Wand, stellt alle Zweifler als »Verharmloser« an den Pranger – um Sekunden danach »Aber die Wahrheit ist« (seine Wahrheit) zu predigen. Ich erkenne die gute Absicht dahinter: die Theorie der »strengen Führung«, die NLP-Schule. Und ich erkenne die Führungsschwäche des Kanzlers genau darin. Er hat keine gewachsene Autoritätspersönlichkeit, er agiert autoritär. Er ermächtigt sich, überhöht sich durch religiöse Formulierungen, spricht von »Aber die Wahrheit ist« ebenso wie von der »Wiederauferstehung nach Ostern«.
Bergpredigt für Arme
Ein Jüngling ohne die tiefe Erfahrung des Eltern Seins, der Liebe zu eigenen Kindern, der Nachfolgegeneration. Er schaut zu den Alten auf, nicht zu den Jungen, den Kindern. Keine oder kaum eigene Erfahrungen des Scheiterns, des Sterbens von nahen Freunden, der selbst erlebten, tiefen Krisen. Seine Autorität strahlt mich nicht an. Sie wärmt mich nicht. Diese strategische Verwendung von Sprache, diese Inszenierung der Worte, diese berechnete Wirkung von Bildern im Kopf erzeugt in mir Misstrauen. Nicht Vertrauen. Kurz hat Berater, er selbst ist Sprecher. Die Wahrheit ist mir zumutbar. Ich habe ein Recht auf Hintergrundwissen. Wer sind die Berater? Welche Ziele verfolgen sie? Wer verdient daran? Wie kamen Entscheidungen zustande? Was waren die abgewogenen Alternativen? Der Weise sagt: »Wir haben beraten, wir haben Alternativen gesucht, wir wissen nicht, was die Wahrheit ist. Und wir haben uns für diese eine Variante entschieden, uns entschlossen, diesen Weg zu gehen. Weil wir hoffen, dass es uns dadurch gelingen wird, möglichst viele Menschenleben zu retten und gleichzeitig den geringsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Es wird mehr kosten als wir uns leisten können. Wir und die Folgegenerationen werden leiden. Doch wir müssen diesen Weg gehen. Wir wissen, dass wir auch scheitern können. Wir geben unser Bestes – und ich bitte Sie alle um Ihr Vertrauen. Und ich bitte schon jetzt um Vergebung für alle Fehler und Schmerzen, die dadurch entstehen werden. Es tut mir leid. Ich gebe mein Bestes.«
Hingabe und Kooperation
Ich lasse mich führen, wenn ich für voll genommen werde, wenn mir die Zusammenhänge und alternativen Strategien zugemutet werden, wenn ich Entscheidungen nachvollziehen kann. Wenn ich als dumm hingestellt werde, weil ich mitdenke und eine eigene Meinung habe, steigt mein Misstrauen, dann gehe ich in den Widerstand, dann wird meine Kränkung im schlimmsten Fall zur Lust auf Rache. Ich will wissen, warum wir tun, was wir tun. Ob wir das Richtige richtig machen oder nur das Falsche richtig. Ich lasse mich dann auf dich ein, wenn ich mir sicher bin, dass auch du dich bemühst, mich zu verstehen, wenn ich mich grundsätzlich verstanden fühle. Ich kann meine Kraft, meine Macht nutzen, um mir Schutzmauern zu bauen und mein eigenes Ding zu machen. Oder ich kann mich hingeben, mich führen lassen. Gerne von anderen abhängig sein. Mitgestalten. Das ist Hingabe. Wenn der Mächtige seine Demut lebt. Wenn ich erkennen kann, dass der Mächtige auch am Weg ist, dass er lernt und zweifelt – und zugleich entschlossen ist. Wenn ich unaufgefordert über Hintergründe informiert werde – und über Alternativen. Das ist die hohe Kunst der Führung, der Machtausübung.