Aufhören, solange es noch geht.




Bethlehem. Donauinsel. Festspielhaus Bregenz. Österreichisches Parlament. Museumsquartier Wien. Kirchentag Hamburg. Tage der Utopie Breklum. Wiener Rathausplatz, Salzburg, Klagenfurt. München. Dutzende Clubs, Strassenfeste, Stadtfeste, Bergfeste, Firmenfeiern. Tonstudios, Proberäume, Band und Solo.

Ich wollte es wissen: Stimmt mein Jugendtraum? Meine Phantasie vom Rockstar? Meine Sehnsucht nach Bühne? Mein Drang, mich nackt her zu zeigen, mich auszudrücken? Mich hin zu stellen. Mich zu singen. Eigentlich wollte ich nur ein Album produzieren. Eine »Platte machen«, mit den finanziellen Möglichkeiten des Erwachsenen den Traum des Kindes verwirklichen. Spät aber doch noch. In diesem Leben. Rein in’s Studio, alle neun Lieder zusammenkratzen, ruck und zuck einspielen, zwei Studiotage müssen reichen, sagt der Produzent. Fixpreis, da muss gespart werden, effizient »gearbeitet«. Die Musiker sind Profis, jeder Takt, jeder Ton sitzt. Die von mir reichlich falsch getroffenen Töne werden digital nachbearbeitet, gestimmt, verändert, komprimiert, gehallt und gemischt. Fertig ist das Album. »Mei Herz brennt«.

Geschäftstüchtig wie ich bin, ist die Musikergage für die LIVE Albumpräsentation im Wiener Ostklub inklusive, nach einer hektischen Probe stehe ich also nach mehr als 20 Jahren erstmals wieder auf einer Bühne. Der Club zum Bersten voll – wenn der Tom Beck seine Musik präsentiert, interessiert das viele Geschäftspartner, Freunde, die ganze Familie ist da. Da passiert es, bei »Der Schrei« kipp ich rein, trau mich, versinke und schwebe hinein in die rauschende Welt der Livemusik. Ich schreie, genier mich kurz, vergesse es sogleich wieder und flieg ab.

Konzert fertig, geschafft. »Das war’s« – denk ich mir. Traum verwirklicht, Hakerl drunter, weiter geht’s. Wieder rein in meine Firma, coachen, beraten, Geld verdienen, Anzug anziehen. Wären da nicht meine Freunde gewesen. Simone, Didi und Clemens. Bleib dran Tom, es war großartig, das bist du, wann spielst du wieder? Ich schlafe drüber, glaube es mir selbst nicht ganz, höre den Mitschnitt, schaue den Film zum Konzert an. Betrachte die Fotos – vom mir, von der Band. Sehe Emotionen, wie ich sie von mir bisher nicht kannte. Sehe einen anderen Thomas, den Künstler.

Zweihundert Konzerte folgen, unplugged, rockig. Fast jede Woche ein neuer Auftritt. Das Publikum findet sich, wächst zum Stamm. In Wien füllen sich die Säle, ich schreibe Lied für Lied. Die Band ist motiviert und verdient auch gut – wer live spielt, setzt um. Wie aus dem Nichts steht ein Programm von über zwei Stunden Show. Ich merke mir Texte, lerne das Bühnenleben. Stelle meine Firma zurück, produziere zwei weitere Alben, der von mir produzierte Konzertfilm »Knistern« kommt sogar in’s Kino. Weiter geht’s. Konzert für Konzert. Ich glaube an meinen Traum, glaube daran, berühmt, beliebt und erfolgreich sein zu können. Von der Kunst leben. Was für ein Lebenstraum.

Geld fliesst. Viel Geld. Jedes Album verschlingt fünfstellige Eurobeträge, die Plakatkampagnen ebenso, die Inserate und Musikergagen. Ich investiere in mich. Meine Firma schreibt erstmals ein Minus – so ist das, wenn du etwas Eigenes aufbaust. Die Kisten mit unverkauften CD’s und DVD’s stapeln sich nach jedem neu produzierten Album höher und höher, die Verkäufe gehen gegen Null. Der Steuerberater warnt mich, ich spare erstmals bei der Band ein und beginne mein Solo Programm. Kaufmännisch clever, künstlerisch fordernd und fördernd.

Ich wachse künstlerisch, das Publikum schrumpft. Wenn die tanzbare Unterhaltung mit Trommeln, E-Gitarren und Bässen verschwindet, verschwindet auch ein grosser Teil dieses Publikums. Meine Texte waren schon immer düster, nachdenklich und wenig unterhaltsam – die rockig groovige Musik glich das aus. So kam es oft vor, dass Menschen im dröhnenden Rhythmus vom Holocaust Lied »Schaut’s hin« freudig tanzten. Mich verstörte das regelmässig, ärgerte mich. Ich begriff, dass meine Texte im Dröhnen der unterhaltenden, lauten Musik unter gingen. Versuchte, dieses Dilemma in Gesprächen und Workshops mit den Bandmusikern zu lösen, doch es war vorbei. Ich begann, ohne es bewusst zu entscheiden, meinen Rückzug. Veränderte die Band, spielte mit »sanfteren« Musikern, versuchte den Neuanfang. Ich kam nicht mehr rein.

Meine tiefe Verletztheit, meine klaffenden Seelen-Wunden, die ja von Anfang an die Quelle meiner Kunst waren, zogen mich zurück. Die Frustration über meine mediale Unverträglichkeit drückte mich von der Bühne, aus der Band, aus der Freude und auch aus der Konsequenz. Ich fühlte mich unverstanden, ungesehen, ungerecht behandelt, verloren und sinnlos.

Ein großes Aufbäumen war das mit dutzenden Künsterinnen und Künstlern realisierte Großprojekt »Freude für Momo« – ich produzierte gemeinsam mit Thomas Mora ein mächtiges Musikstück, samt Film und medialer Präsentation. Für schwerstkranke Kinder und deren Familien, jedoch auch für uns. Kein einziger Radiosender nahm das Lied in sein Programm auf.

Dann – im Winter 2016 – ziehe ich mich für Wochen in meine Waldhütte zurück. Allein. Besorge mir ein professionelles Aufnahmegerät und arbeite an meinem letzten Album »Stille führt«. Nur meine Gitarre und ich, begleitet vom knisternden Ofen und dem Rauschen des Waldes. Es dauert lange, ich komme an meine Grenzen, spiele bis zu zehn Stunden lang immer wieder das selbe Lied, bis ich das Gefühl habe, dass es geboren ist. Thomas Mora mischt die 4 Spuren (Gesang, Gitarre Pickup, Gitarre Mikro und Raum) – beim Mastering mit Horst Pfaffelmayer zeigt sich für mich erstmals die Tiefe, die der Unterhaltung entgegengesetzte Dimension des Werks.

Das Album verkauft sich nicht, kommt mit dem brutalen Lied »Heim« jedoch für Monate in die Liederbestenliste Deutschlands. Ein künstlerischer Erfolg für mich. Balsam auf meiner gekränkten Seele.

Ich spiele Konzerte, Solo und Duo. In Wien, Reise nach Deutschland, Tournee, spiele vor sehr kleinem – jedoch überproportional begeistertem Publikum. Sogar in der Lebensstadt meiner deutschen Großeltern, in Erlangen. Ein stiller Traum geht in Erfüllung.

»Wieso hört man nichts von dir – wieso kennt man dich nicht?« – die an mich meist gefragte Frage. »Weil ich nicht massentauglich bin, weil kaum jemand in seiner Freizeit vom Krieg, Holocaust und Selbstmord hören will…« – der Versuch einer Antwort. Still in mir zweifle ich, glaube, dass es an mir liegt, an meinem künstlerischen Potenzial. Ich bin einfach nicht gut genug. Erste Konzerte werden kurzfristig abgesagt, die Veranstalter ziehen die Notbremse, weil der Vorverkauf stagniert. Ich versuche es locker und professionell zu nehmen, organisiere um. Und kränke mich, resigniere.

Innerlich beginne ich mich zu verabschieden, leide, leise und traurig. Habe aufgehört, selbst Konzerte aufzustellen, mich selbst zu vermarkten. Meine alte Wunde, mein altes Muster klopft an der Tür: »Wenn du mich nicht erkennst, hast du mich nicht verdient. Ich dreh mich um, gehe in meinen Wald und grab mich ein. Ende.«

Was heute leicht geht ist Schreiben. An meiner Maschine. Text für Text, kurz und prägnant, kleine Angriffe. Die Gitarren schlafen in ihren Koffern. Was auch leicht und gut geht, ist meine Firma. Geschäftsmann sein ist auch eine Kunst.