Frohe Ostern aus Athen.

Fünfzehn mal mehr Suizide, seit Beginn der Krise – im Vergleich zur Zeit davor. Eine „griechische Statistik“ – also sowieso nicht wahr, schrieb ein Freund auf Facebook. Die Griechen haben sich bereichert, auf Kosten der braven, anderen EU-Staaten. Sie haben gelogen und betrogen. Also passt’s schon wenn sie jetzt leiden müssen. Und dass sich Familienväter in den Kopf schießen, weil sie den zu hohen Lebensstandard, die zwei Autos, die Privatschule für die Kinder, das Haus nicht mehr leisten können – das berührt uns nicht: das hat uns nicht zu berühren. Denn wer Schulden hat ist selber schuld. Und wer Geld hat, hat Recht.

»Never put money over « – das sagte Hafsat Abiola-Costello am World Future Forum 2017. #WFF17Bregenz. Hafsat’s Vater war nigerianischer Spitzenpolitiker und ließ sich nicht kaufen: kurz danach war er tot. Ermordet. Was Hafsat mit dem Satz, der für sie neben der Gleichstellung von Mann und Frau die wichtigste Veränderung für eine friedliche Zukunft ist, meint ist, dass Geld über Leben steht. Weltweit. Dass Krieg wegen Geld und Gier existiert, weil Ungerechtigkeit zu Rache führt. Weil „Schulden eintreiben“ wichtiger ist als Menschenleben bewahren, retten.

Die Griechen. Fahren 120 in der Stadt, freuen sich, wenn sie diesen Monat irgendwie ihre Lebenskosten geschafft haben. Verkaufen gegrillten Kukuruz am Straßenrand. Wenn du Café Helenico metrio bestellst, leuchten ihre Augen. Sie füttern die Katzen auf der Straße, lassen jede Delle in ihren Autos Delle sein – als wertvolles Erinnerungsstück. Zu Ostern strömen sie zu Hunderttausenden vor Mitternacht in die orthodoxen Kirchen, singen gemeinsam, reichen sich das Feuer von Kerze zu Kerze und sind still dabei.

Arbeit ist hier Mangelware. Architekten haben nichts zu planen, weil Geld nicht mehr in Immobilien fließt. Warum? Weil der Staat den Besitz von immobilen derart hoch besteuert hat, dass es Geld kostet statt Rendite bringt. Zugleich ist jeder Euro Einkommen mit 30% besteuert – die Krise trifft somit die Ärmsten am härtesten. Ob die Menschen durch die Krise vielleicht sogar glücklicher geworden sind, frag ich Apostolos – unseren Gastgeber. Er zieht an seiner selbst gedrehten Zigarette, denkt. Schaut. Und sagt: „maybe.“ Da ist kaum mehr Möglichkeit, durch Konsum Glück zu finden. Die, welche den Konsum zur Gottheit erhoben hatten, finden sich – griechisch statistisch – in der Gruppe der wahrscheinlicheren Selbstmörder. Wenn Geld alles war, ist nichts mehr, wenn Geld weg ist. Viele Griechen haben ihren Glauben, ihre Familie, ihre Liebe zur Landschaft. Ihre Lebensfreude.

Griechenland nährt sich – auch – aus seinem Glauben, an seiner Religiosität. Still, nicht fanatisch.
Ein wundervolles Osterfest verbringen wir hier. Irgendwie gut geerdet, am Boden, unaufgeregt. Frei. Freuen uns auf und über gutes Essen, erleben das erste Schwimmen im Meer wie einen Rausch der Sinne, nippen am heißen Kaffee. Teilen uns den zähen Saganaki, Spinat mit Tintenfisch, Sardinas und Moussaka.

Während Hunderttausende Flüchtlinge nach wie vor in Lagern hier ausharren. Eine Völkerwanderung, die hier an der Griechischen Küste Europa erreicht. Wo die Binnenländer Routen dicht machten und somit den Griechen etwas schuldig blieben: Solidarität. Brüderlichkeit. Geld.

Erdogan’s Macht wird und diesem Augenblick, wenige Kilometer von hier entfernt, mit großer Wahrscheinlichkeit erweitert. Seine Laune wird entscheiden, ab wann hier in Griechenland wieder das Tor nach Europa gestürmt wird. Und wir arrogant hochmütig in unseren hochverschuldeten Häusern vor’m Facebook sitzen und uns vor den Fremden fürchten. Weil sie uns unseren geborgten Wohlstand nehmen wollen. Bald werden wir wieder erkennen, dass das Zentrum Europas nicht Braunau am Inn, sonder Athen ist. Für immer. Demokratie braucht Gelassenheit, Demut und die Freiheit der Gedanken – vor allem die Freiheit von Geld.

Ich bin zum unzähligsten Male hier im Land der Götter. Und immer wieder erreichen mich die Menschen hier mitten im Herz.

Und irgendwann bleib i dann duat. Lass alles liegen und stehen. Bleib von daheim für immer vuat…
Frohe Ostern. Und allen Eierlosen wünsche ich, dass sie ihre bald finden.
#greece #europa #athen2017