Der Tag danach – oder der erste Tag im Neuen.
Soziale Klimakatastrophe. Das ist es. Wir? Mittendrin. Für mich ist gestern Mittag eine Ära zu Ende gegangen. Der Zeitpunkt hätte kein authentischerer sein können: fünf vor zwölf startete der ORF den Livestream.
Um Punkt Zwölf betrat das Team des Verfassungsgerichtshofs in seltsamen Kostümen und toten Tieren auf Schulter und Haupt den Saal – um uns fünf Minuten nach Zwölf in die Gesichter zu sagen, dass wir zu deppad sind einen Bundespräsidenten selbst zu wählen.
Uns in einer zu hundert Prozent auf law&order Art und Weise basierenden Arroganz abstrafen. Genau so theorie- und machtgeil, wie manche dieser Wiener Parksherrifs. Kein Millimeter Menschlichkeit. Nur Regel, Gesetz, Ordnung, Vorschrift. Bei Gericht gibt es keine Gerechtigkeit. Nur Urteile. Diese menschlichen Göttergestalten haben uns mit Mienen wie Henker – vor allem die Frau links neben dem Chef schaute drein wie bei einer Todesurteilsverkündung – voll eine in’s Bürgergesicht gewatscht. Und der Kanzler, der Bundespräsident, der Vizekanzler, der Innenminister bedanken sich Minuten danach für die Gestreckte Rechte mitten ins Gesicht. Das ist nicht meine Welt.
Das alles am Zeugnistag. Setzen, Fünf. Wir sehen uns im Herbst wieder. Dass ich am letzen Sonntag im Oktober mit Andy Holzer durch den Madagaskar Dschungel paddeln werde, sei mal Nebensache. Bis dahin gibt’s ja noch die Briefwahl. Noch.
Wer mich näher kennt, weiß, dass ich ein sehr frei denkender Mensch bin, mich grundsätzlich an Regeln und Gesetze halte – und dass ich – wenn ich mich vom System ungerecht schikaniert oder ausgebeutet fühle (Stichwort sadistische, sich in Hauseinfahrten versteckende Parksherriffs) mich unendlich aufregen kann. Sie auch mal anbrülle, Ihnen empfehle „sich endlich einen guten Job zu suchen statt hier so unnedich herumzuturnen.“ Und dann die Strafen zähneknirschend bezahl. E. Noch.
Wir müssen also neu wählen. Weil die FPÖ hirnrissige Missstände aufgezeigt hat. Jedoch nicht um des konstruktiven Aufzeigens Willen, sondern um dem Hofer doch noch eine Chance zum Sieg zu verschaffen. Sieg. Darum geht es. Macht.
Wütend bin ich auf die ex Innenministerin Mikl-Leitner, welche diesen katastrophalen Zustand zu verantworten hat. Denn die (UN)Fitness der Wahlbehörde und des Systems (Stichwort Schulung und Qualitätssicherung) fällt in ihre Periode.
Da war die mir – ohne das verheimlichen zu wollen – persönlich mehr als nur unsympathische HAK Lehrerin aus dem Weinviertel jedoch primär mit der Beschaffung ihrer seltsamen Schmuckstücke, schrillen Kostümen und NLP Floskeltrainings beschäftigt.
Um ihre Menschenrechtsverachtenden Stehsätze vor dem Spiegel einzuüben. „Spieglein, Spieglein an der Wand…“
Schluss! Jetzt.
Ich könnte – und wollte auch irgendwie – stundenlang weiterschreiben, mir meinen Frust von der Seele schreiben. Schimpfen, spucken, treten, brüllen.
Gegen den Kickl seine gruppendynamisch „genialen“ Strategien, Strachls giftige Hetzsprache, die mich in jedem Satz an irgendwelche Reichsreden erinnert – voller Formulierungen und Worte aus einer anderen, längst für vorbei gehofften Epoche des Führens von Oben nach Unten. Aufhetzend.
Über Beamten, die sich arrogant und hochmütig über Gesetze erheben und allmächtig überheblich „ihre eigenen Regeln“ aufstellen. Mich kotzt an, dass in meinem Heimatbezirk Wien Umgebung mit meiner Wahlkarte unachtsam umgegangen wurde. Den Ärger muss ich irgendwie wandeln. Eben nicht in Schimpfen, sondern in Aufbruch. Umbruch. Paradigmenwechsel. Schluss! Jetzt.
Unser System ist hin. Das System hat sich selbst so aufgeblasen, dass es für Populisten leicht angreifbar wurde.
Ein selbstgefälliges, träges, egoistisches System kann mit relativ wenig Intelligenz über seine eigenen Schwachstellen geführt werden.
An der Nase herum geführt werden, wie ein Stier am Ring. Weil ein Staat, der sich über seine Mächtigen immer und immer wieder auf Rechte beruft, wenn es gegen die Rechten geht, angreifbar ist. Genau dort, wo er sich selbst nicht an die Rechte hält. Dort ist die Achillesferse des Systems: im Hochmut. In der Überheblichkeit. Der Dekadenz.
So wie die Jahrzehnte lange Ausgrenzung der FPÖ unaufhaltsam zu ihrer Ermächtigung geführt hat.
Die Gesetze des Lebens. Dunkelheit wird mehr, wenn du sie wegsperrst statt beleuchtest. Dunkelheit ist noch verdecktes Licht. Mit mehr Zudecken wird sie dünkler und mächtiger.
Wir sind mitten drin. Im Wandel. Zwischen Altem und Neuem ist das chaotische Nichts.
Und vor dem fürchtet sich die Mehrheit der Menschen hier in Europa. Das Neue klopft nicht nur an unsere Türen, es ist längst in jedes Küchenkastl eingedrungen. Statt uns in Links und Rechts zu zerreissen, geht’s darum gemeinsam fit zu werden für die nächste Etappe der Menschheit. Wir wissen alles. Und müssen uns nur trauen. Und wir müssen diesen Mächtigen „Uns“ entgegensetzen.
Lernen, konstruktiv mit Angst umzugehen. Lernen, uns jetzt auf die (eh immer) ungewisse Zukunft hin zu bewegen. Lernen, aufeinander, auf uns zuzugehen, uns nicht gegeneinander aufhussen zu lassen. Lernen, aufzuhören mit allem, das nicht mehr angemessen ist.
Wir alle wissen, dass das Geldsystem dumm ist, dass unser Wirtschaftssystem auf unmöglichem, unendlichem Wachstum basiert.
Wir wissen, dass Milliarden an Euros nur deshalb in Werbung investiert werden, weil wir dadurch konsumieren, was wir ohne Werbemanipulation niemals konsumieren würden.
Und wir wissen, dass wir deshalb arbeiten, wo und wie wir niemals gearbeitet hätten, weil wir ja das Geld dafür nie gebraucht hätten.
Wir wissen, dass wir im Westen auf Kosten der anderen leben. Dass unser Wohlstand Leichen produziert, verantwortet. Wir wissen, dass wir wesentlicher Teil der Ursache dieser erst beginnenden Völkerwanderung sind.
Wir sind am Anfang vom Neuen. Von einem Zeitalter. Mir wird es immer egaler, wer unser neuer Bundespräsident wird. Viel mehr interessiert es mich, was ICH tun kann. Damit wir die Kurve schaffen.
*] 25.9.2016 wahrscheinlicher Wahlsonntag. Also noch vor Madagaskar.
Foto Wolfgang Jaafar.