Menschenrechte, Menschenleben, Freude.


Der Tag danach. Irre heute unklar umher. Traurig und dann wieder staunend, gefasst. Ich kenne das – nach intensiven hohen Erlebnissen kommt das Tief. Das Nachdenken, Nachfühlen, Realisieren.

Gestern Donauinselfest, mein Auftritt auf der Bühne „Insel der Menschenrechte“. In der Früh munter geworden, mit den Nachrichten zum Ausgang des britischen Votums, zeitig in den Wald, dann Fahrstunde mit Sohn David. Programm proben – und durch die glühende Hitze der Stadt auf zur Insel.
Pünktlich rauf auf die Bühne, dem Bühnenmotto Tribut zollend mit „Der Schrei“ begonnen – dem Lied, welches mir während dem vorletzten Gazakrieg eingeschossen ist. 

Zerfetze Menschen ohne Namen, alle san ma aus dem selben Samen.

Erstmals in reduziertester Besetzung, Keyboards und akustische Gitarre. Kein Schlagzeug, kein Bass, keine Einspieler. Zornig zärtlich. Ich fühlte mich so verletzlich wie noch nie bei einem Konzert – die Tschinnbumm-Musik vom benachbarten Kebabstand war während der stillen Passagen für mich verwirrend laut, die zum Festival strömenden Menschenmassen riesig. Diese für Openairs so typische Unruhe, die Bewegung der Masse, das Kommen und Gehen. Nichts ist Fix. Kaum Anhaltepunkte. Der Platz füllte sich, die ZuHörer wurden mehr und mehr, der Applaus glaubwürdig fest. Ich erkenne Vertraute in der anonymen Masse, halte mich an ihnen an und finde mich: Schaut’s hin. 

Wohin geht die Angst, wenn wir sie verdrängen? Was passiert mit der Wut, wenn wir sie nicht benennen?

Seit Jahren singe ich das Lied, bei jedem Konzert. Aktuell wie eh und je. Leise kommt es noch viel kräftiger. Viel zorniger.

Plötzlich: Feuerwehrauto, knallrot und Sirene voll im Durchlauf. Fährt mit hohem Tempo rechts der Bühne vorbei, umrundet den Platz, weiter zum links von mir gelegenen Ufer der Neuen Donau. So laut, dass ich das Singen unterbreche und wir instrumental abwarten. Sirene ab. 

Erste Schaulustige rennen los, immer mehr Leute hetzen in Richtung Uferböschung. Das Publikum teilt sich – in still mir Zuhörende und flüchtende Schaulustige. Die SPÖ Stadträtin Renate Brauner posiert mit einer Gruppe Jungsozialisten direkt vor der Bühne. Ihr knalliges Kleid fasziniert mich. Will mich auf meine Bühnenarbeit konzentrieren. Fällt mir schwer. Fange mich wieder. Applaus. Links und rechts schauen. Bernie und Flo anrufen. „Gut läuft’s.“ sagen. 

Ich spiele mein neues, so stilles Lied „Die Stadt“. Fällt mir schwer die Konzentration zu halten. Fokussiere meinen Blick so weit es geht auf’s Publikum. Meine Aufmerksamkeit zieht’s aber unweigerlich zum Ufer. Polizei ist da, zwei Rettungswägen mit Sirene und Blaulicht. Polizisten riegeln den Ort ab, mehr und mehr Schaulustige strömen nach links. 

Die Stadt ist heute voller Leben, jeder Blick a Konsequenz.

Bin mit meinen Gedanken und meiner Präsenz Moment für Moment mehr bei diesem mir fremden Menschen da unten. Ich weiß nicht was passiert ist, spüre jedoch Dramatik und Gefahr. Gedanken im Kopf. Was hat das mit mir zu tun? Ist es angemessen, einfach weiter zu spielen? Opa ohne Kopf. Jetzt grad. Wieder ein Lied über den Tod. 

Bist jetzt da wo du immer wolltest, siehst jetzt alles das du nie sehen solltest? Hast die Stern von oben gesehn? Ist das Sterben wirklich schön?

Dann das Dröhnen vom Hubschrauber. Von hinten kommend, mitten über die Bühne. Alles anders als geplant, gedacht, gewunschen. 

Ich ändere das Programm. Sage an, dass wir jetzt die Lieder ändern und gemeinsam für diesen Menschen spielen. 

Damit aus dem Unglücksfall noch ein Glücksfall wird. 

Von Dagmar wusste ich mittlerweile, dass ein Mensch wenige Meter neben uns reanimiert wird. Den Rest reime ich mir zusammen. Überlege noch einmal, ob ich das Konzert abbrechen soll. Und beginne mit Freude für Momo: 

Wenn dich das Unglück mit ganzer Kraft erwischt und knallhart niederdrückt. Ein Mensch der dir ganz nah steht, viel zu früh geht und dich nichts mehr beglückt. Wenn genau dann, wenn’s stockfinster ist, dass niemand sehr was sieht – von irgendwo a Freund her kommt, der dich einfach schweigend liebt.

Für momo, mobiles Kinderhospiz produziert, um schwerkranken, sterbenden Menschen und deren Familien, Freunden Mut zu machen. Jetzt das. 

Mir dreht es die Gedanken im Kreis, bin so gut wie nur noch bei diesem Menschen. Es fühlt sich skurril an, unwirklich. Und richtig. Dann noch Anna. Für Anna Katzdobler, meine viel zu früh verstorbene Freundin. 

Viel gelacht hab ma gemeinsam – aber niemals gwant. Jetzt lernst du mir, dass wer ned want des Leben vasamt.

Und dann Schluss. Ende. Runter von der Bühne. Raus auf’s Feld. „Er hat’s nicht geschafft. Sie haben ihn gerade zugedeckt.“ hören. Traurigkeit. 

Aus den heutigen Nachrichten weiß ich: Er war 18. Afrikaner. Asylanwärter. Wollte sich mit seinen Freunden im Wasser abkühlen. Via Facebook Hinweis erfuhr ich: Seine Freunde nannten ihn Musa. Und ich hab ein Bild von ihm: strahlend, lachend, glücklich. 


Das war mein Tag. Gestern. Insel der Menschenrechte. Heute: Daheim. Hab die Schlüssel für mein neues Zuhause bekommen. Mein Exhaus von meiner Exfrau zurück gekauft. Zwölf Jahre danach wieder daheim. Ungewohnt. Angekommen. Ich. 

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#dif16 #menschenrechte | Foto Bühne: Wolfgang Jaafar | Foto Christophorus: Pamela Jaafar.