Wenn die Antwort »Krieg« ist, war wohl die Frage falsch.

Ich komme hier gerne mit Antworten daher. Auf die Frage »Was ist ein Feind?« habe ich keine.

Ist ein Feind (muss ich das jetzt in FeindIn« gendern?) das Gegenteil von Freund? Oder jemand der mich zu vernichten versucht? Ist ein Feind jemand, den ich nicht mag, jemand den ich zu vernichten versuche, jemand, der mir im Weg steht? Ist ein Feind ein Angreifer, ein Verbrecher, der »meine« Gesetze bricht? Ist ein Feind überall auf der Welt ein Feind? Oder entsteht ein Feind durch meine Rechthaberei? Oder – noch schräger – erst durch meine Freundschaften, die sich nach aussen über Feindschaften definieren? Durch mein moralisches Bezugssystem? Oder ist ein »Feind« einfach nur mein Wort, welches ich verwende, wenn ich jemanden beschreibe, vor dem ich mich fürchte? Gibt es Feinde, wenn es keine Angst gibt?

Ich weiss es nicht. Deshalb habe ich heute stundenlang recherchiert – sitzend während des Frühstücks, knotzend auf der Hollywoodschaukel, liegend am Badetuch am Badeteich. Und ich bin überrascht – darüber was ich so autodidaktisch erfahren hab. Jede – wirklich JEDE – unserer Weltreligionen definiert sich in ihrem Kern über die »Feindschaft«. Genauer gesagt: über die Bewältigung von Feindschaft. Was mich vermuten lässt, dass Feindschaft in uns enorme, kreative Kräfte frei setzt. Wahrscheinlich, weil dadurch unsere Tiefste Angst – und auch unsere tiefste Freude – die Sehnsucht nach Frieden und Geliebtsein – aktiviert werden.

Alle Religionen finden – über kurz oder lang – drei Antworten auf die Frage, wie Feindschaft zu begegnen ist: Durch Liebe. Durch Wahrheit. Durch Gesetz. Jedoch nie durch Krieg.

Krieg ist keine Lösung. Wenn die Antwort »Krieg« ist, war wohl die Frage falsch. Was ein »Feind« ist, bleibt mir auch nach einem Tag Recherche unbeantwortet. Ab und zu werden die »Ungläubigen« genannt. Und die kriegerischen Unterdrücker, die Eroberer, die Zöllner. Beschrieben wird »der Feind« nicht. »Behandle deinen Feind so, wie du deine Eltern oder deine Kinder behandelst, wenn du im Streit mit ihnen bist.« – Dieser Satz hat mir weiter geholfen. Da finde ich Bilder dazu.

Eine weitere Erkenntnis fand ich im Buddhismus: »Es gibt keinen Feind. Du, ich und wir sind Eines. Der Feind definiert sich über den Anderen, den es nicht gibt.« Immer ist es der innere Krieg zwischen unseren hellen und dunklen Seiten, zwischen unseren gütigen und bösen Anteilen, zwischen unserer Angst und Freude.

Rabbi Wolf von Zbaraz (um 1800)
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Ein Dieb wollte aus Rabbi Wolfs Garten einen Sack Kartoffeln davontragen. Rabbi Wolf stand am Fenster und sah, wie sich der Mann abmühte. Da eilte er hinaus und half ihm, den Sack auf die Schultern zu heben. Seine Hausgenossen warfen ihm dann vor: „Du hast ihm geholfen!“ „Glaubt ihr“, rief Rabbi Wolf, „weil er ein Dieb ist, wäre ich nicht verpflichtet, ihm zu helfen?“
«

Wenn wir die Menschen in Griechenland auch nur einen Augenblick als unsere Feinde sehen – oder sie uns – dann ist Europa mit sich selbst im Krieg.

KALI NICHTA.